Die Zeit rinnt. Aber was hatte er schon zu verlieren? Ohne Phillipe würde das Leben das er grade führte sinn- und freudlos bleiben. Hatte er sich nicht letztens noch dabei ertappt, wie er von seiner Liege aus auf die Muskete schaute, die süßes befreiendes Nichts versprach?
"D'accord! Brau deinen Trank!"
Die Bilder verschwammen vor seinen Augen. Während die Hexe geschäftig mal dieses, mal jenes Pulver in den Topf schüttete und mit rythmischen Singsang ihre unheilige Zauberformel aufsagte, hielt er mit der einen Hand Phillips und mit der anderen tupfte er die Schweißperlen von seiner Stirn. Die Wunde nährte ein Brandfieber und nicht lange und die fauligen Säfte würden das Herzblut aufzehren. Einmal, kurz, öffnete er die Augen und es schien Antoine, als lächle er ihn an, so wie Sterbende es zu tun pflegen, wenn sie das Licht schauen dürfen, welches Erlösung verspricht. Er wollte etwas sagen, aber Antoine beugte sich runter und küsste sanft seinen Mund.
Jeder Zweifel, jede Vernunft seines Geistes wich und er war umso entschlossener, nach diesem süssen heißen Treffen ihrer beider Lippen, alles zu opfern. Die Flamme, die nach dem düsteren Gespräch mit der Alten nurmehr glimmte, loderte erneut in ihm und brannte alles aus, bis nichts mehr blieb als bedingungslose Hingabe und Opferbereitschaft. Wie in Trance nahm er den Becher den das Weib ihm reichte und als er ansetzte den Schluck zu wagen, der alles verändern, der seinem Leben neue Wahrhaftigkeit geben sollte, hielt sie mit erstaunlicher Stärke sein Handgelenk und sprach: "Versprich mir den Spiegel dort zu zerschlagen!"
Es war seltsam. An der Wand hing ein pollierter Spiegel, gefasst in schwarzem Holz mit Intarsien aus unbekannten Runen. Wie konnte er den vorher übersehen haben und woher hatte so eine arme Frau ein so wertvolles Möbel, das im Preis sicher die Hütte, mit allem was darinnen, um ein vielfaches übertraf? Es war ihm gleichwohl egal, der Handel stand! "Ich verspreche es!" Hastig leerte er den Becher abscheulichen Gebräus bis gerade zur Hälfte, um seinem Liebsten den Rest Leben spendenen Nektars einzuflössen. Ein stechender Schmerz zuckte in seinem Gedärm, der Nachgeschmack bitterster Kräuter brannte seinen Weg in den Körper. Aber auch Phillipe zuckte auf, krampfte seine Hand um Antoines und sank dann schlaff zurück auf die Bettstatt.
"Euer beider Leben ist verbunden, stirbt er, so stirbst auch du, so aber einer von euch voller Kräfte ist, wird auch der andere genesen! Sieh selbst." Und richtig, die Wunde schloss sich. Antoine konnte fühlen, wie ihm seine Energie, seine Lebensessenz wich; um rüber zu fließen in Phillips sterbenden Körper. Ihm war als würde ein fürchterlicher Schmerz in der Brust, gerade da wo die Wunde seines Liebsten war, langsam verblassen. "Habt Dank, ich stehe in Eurer Schuld!"
"Der Spiegel!" zichte die Alte, um gleich darauf in besonnerenem Tonfall hinzuzufügen: "Gedenkt Eures Versprechens, Monseigneur."
Antoine sammelte Kräfte und erhob sich. An dem Spiegel war nichts ungewöhnliches, abgesehen von den Runen und seinem seltsamen Besitzer. Ein Blick hinein verriet Antoine die Stunden der Sorgen, den Ritt und die Abscheulichkeit aber auch Wirksamkeit des Trunkes. "Was ist mit ihm, warum soll ich ihn zerschlagen? Er scheint mir recht harmlos?"
"Hab ich Euch Fragen über diesen dort gestellt? Hab ich Euch nicht gegeben, wonach ihr verlangtet? Und wollt Ihr nun diesem alten schwachen Weib ihren törichten aber harmlosen Wunsch verwehren? Seid ihr ein Edelmann und gabt Ihr nicht Euer Wort?" Rasch nahm sie die hölzerne Kelle, mit der sie vormals noch im Topf gerührt und drückte sie Antoine in die Hand. Mit einem letzten Blick auf sich und Phillipe im Hintergrund holte er aus. Noch sah er, wie die Alte behende aus dem Spiegelbild wich, so als müsste sie mit zerspringen, wenn das Glas barst.
Mit den Scherben viel auch Antoine in endlose schwarze Tiefe.