Generation 0 - Lily Kashmir
Kapitel 4 - Die Mutprobe
Die nächsten Tage erlebte Lily wie durch einen Schleier. Alles viel ihr leichter. Ihre schulischen Leistungen wurden zwar nicht wirklich besser, aber dafür war ihr Alltag leichter. Trotz der immer kaputten Geräte in ihrer Wohnung und trotz der wenigen Freizeit zwischen Schule und Gelegenheitsjob. Aber Nolan schaffte es immer wieder sie aufzumutern und ihr neuen Antrieb zu geben.
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Irgendwann als sich die beiden an ihrem gewohnten Platz in der Pause trafen tippte Nolan ihr auf die Schulter.
„Ich wollte dich was fragen.“
„Schieß los“, Lily drehte sich etwas verwundert zu ihm um. Eine Einleitung passte nicht zu ihm, normalerweise kam er gleich zur Sache.
„Wir haben eine Tradition mit den Jungs aus meinem Football-Team. Neue Mitglieder – und deren neue Freundinnen - müssen eine Mutprobe mitmachen.“
Lily wurde misstrauisch aber sie entschloss sich erstmal zuzuhören.
„Und das soll ich jetzt auch machen?“
„Ja, ich hab die Jungs schon recht lange hingehalten, aber ich fänds echt cool wenn du das mitmachst. Das machen wir halt schon ewig so.“
Lily zögerte. Sie mochte solche Aktionen nicht und fand Mutproben generell als etwas kindisch. Aber es schien Nolan wichtig zu sein.
„Na gut. Aber ich mach das nur, weil du mich drum gebeten hast.“
„Das ist mein Mädchen“, grinste Nolan. Und sein Lachen bestätigte Lily in ihrer Entscheidung. Dagegen hätte sie sich ohnehin nicht wehren können.
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Als Nolan zum nächsten Unterricht gegangen war, schlich sich Lily zu einem der Schulcomputer. Auch wenn sie dieser vermeintlichen Mutprobe zugestimmt hatte, was sie doch etwas nervös. Sie wusste von ein paar Mutproben, die die Kinder auf dem Pflegeheim indem sie nach ihrem Unfall untergebracht war. Die meisten dieser Geschichten endeten beim Arzt oder mit einer langen Strecke an gemeinen Internetposts. Simstagram war voll mit Fotos und Memes von gescheiterten Mutproben und nicht allzuselten dienten sie nur dazu, jemanden bloßzustellen.
Aber Nolan war ja dabei, wer würde schon drauf achte, dass Lily nichts passieren würde.
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Vielleicht machte sie einen Fehler, aber sie durchsuchte die Foren ein wenig nach gängigen Mutproben. Erstaunlich viele beinhalteten Nacktheit. Lily verzog die Mundwinkel. Ob Nolan es zulassen würde?
Andere, harmlosere waren einfache Streiche. Etwa Kingelmännchen bei der Polizei. Geschmacklos aber Lily konnte sich trotzdem keinen Ärger mit dem Gesetz leisten. Da müsste sie ablehnen.
Seufzend schloss sie die Foren und ging nach Hause. Half ja eh nichts, sie hatte Nolan schon versprochen, mitzumachen und Lily hielt sich an Versprechen.
Gleich am Abend wurde sie eingesammelt.
Sie stand ihre Mutprobe durch. Bibberned schwamm sie in ihrer Unterwäsche durch einen Fluss. Die Strömung war nicht stark aber die Stelle, die ausgesucht wurde war für die untrainierte Lily ein Marathon. Nolan und seine Freunde standen auf der anderen Seite und feuerten sie grölend an, in den Händen Becher mit billigem Nektar. Nur wenige von Ihnen waren sturzbetrunken. Nolan gehörte leider nicht zu denen.
Irgendwann schaffte Lily es zum anderen Ufer und zog sich schlotternd und hustend an Land. Bei den letzten Metern hatte sie gedacht, sie würde es nicht mehr schaffen. Ein paar der Jungs schlugen ihr viel zu hart auf die Schultern. Es regnete blöde Sprüche, weil sie wohl ziemlich den Rekord für die langsamste Schwimmerin gebrochen hatte.
Sie bat Nolan sie nach Hause zu bringen, der war jedoch inzwischen so betrunken, dass er nicht mehr viel mitbekam und sie ewig warten ließ. Also ging sie allein nach Hause.
Am nächsten Morgen war Lily völlig übermüdet, ihre Glieder schmerzten und ihr Kopf dröhnte. Sie schleppte sich in die Schule. Die erste Stunde schaffte sie zum Mittagessen aufstand, flimmerte es plötzlich vor ihren Augen. Sie blinzelte ein paar Mal, bis das schwummrige Gefühl verschwand und ging dann, mit einer riesigen Wut im Bauch in die Cafeteria.
Nolan saß am Tisch und wollte sie tatsächlich noch nett begrüßen.
„Glaub ja nicht, dass zwischen uns alles in Ordnung ist“, fauchte Lily ihn an.
„Hey, sorry, ich hatte gestern einfach einen Becher zu viel“, versuchte Nolan zu besänftigen.
„Das ist mir so scheiß egal Nolan,“ fuhr Lily unbeirrt vor. „Du hast mich in so einem Zustand allein gelassen, weil die deine Kumpels und dein Nektar wichtiger waren. Du hast nicht mal was gegen die dummen Sprüche deiner tollen Freunde gesagt.“
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„Ach komm, das waren nur Scherze, das machen die immer.“
„Du scheinst nichtmal das Problem zu verstehen. Ich glaub, ich muss mir nochmal gut überlegen, ob das mit uns so funktioniert“, sagte Lily bestimmt und ging ohne ein weiteres Wort zurück zu ihrem Klassenraum.
Erneut flimmerte es. Als sie ihren Klassenraum betrat, tanzten schwarze Flecken vor ihren Augen. Sie spürte nicht mal wie ihr die Beine wegsackten
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Als sie aufwachte kniete Jonelle neben ihr, die ihre Beine hochhielt.
„Du bist wach!“, rief sie erfreut. Lily tat der Kopf weh. Sie musste sich irgendwo gestoßen haben. Sie drehte den Kopf und bemerkte, dass außer ihnen beiden niemand im Raum war.
„Ich habe die anderen rausgeschickt. Die Lehrerin holt gerade etwas Schokolade für dich. Du bist einfach zusammengeklappt. Was ist denn los? Du sieht furchtbar aus.“
Jonelle half Lily sich aufzurappeln und gab ihr ein paar neue Klamotten aus ihrem Spind. Lily merkte erst jetzt, dass sie noch die Kleidung vom letzten Abend angehabt hatte.
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Lily erzählte ihrer Freundin von der Mutprobe und von Nolan.
Jonelle hörte ihr aufmerksam zu, unterbrach sie nicht sondern stellte nur gelegentlich Fragen, als Lily manchmal Details ausgelassen hatte.
Zwischendurch kam die Lehrerin zurück und gab Lily ein paar Schokoriegel für den Klassenraum, ließ sie aber auf Jonelles Bitte hin wieder allein.
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Nachdem Lily ihre Ausführung beendet hatte, schloss Jonelle für einen Moment die Augen und nickte dann.
„Ganz ehrlich Lily? Schieß den in den Wind. Allein, dass er sich besäuft, während seine Freundin durch Flüsse schwimmt sagt schon viel über ihn aus. Was hätten die gemacht, wenn dir die Puste ausgegangen wäre?“
„Ich hätte mich da nie drauf einlassen sollen…“
„Das auch aber vorallem sollte dich dein Freund gar nicht erst zu solchen Späßen überreden. Ich kenne den Fluss, der ist für eine untrainierte Person an der Stelle viel zu breit. Das war mehr als leichtsinnig dich da reinzuschicken.“
Lily lächelte, Jonelle hatte wie immer recht. Lily wollte trotzdem noch eine Nacht darüber nachdenken, was sie jetzt unternehmen wollte.