Generation 0 - Lily Kashmir
Kapitel 5 - Ein Ende mit Schrecken
Zuhause dachte Lily noch lange über ihre Situation nach. Sie tat sich schwer mit der Entscheidung. Sie wusste, dass Jonelle recht hatte. Aber gleichzeitig wollte sie auch nicht sofort aufgeben. Verletzt und hin und hergerissen wanderte sie in ihrem Wohnzimmer hin und her.
Sie musste nochmal mit Nolan sprechen.
Die Müdigkeit übermannte sie, als sie sich in ihr Bett warf und ihr fielen die Augen zu.
Noch vor der ersten Stunde suchte sie am nächsten Morgen Nolan auf und fand ihn vor seinem Spind.
„Nolan wir müssen nochmal reden.
„Geht es immernoch um die blöde Mutprobe? Ich hab mich doch schon entschuldigt. So schlimm war es doch jetzt auch nicht, komm lass uns lieber feiern, dass du das geschafft hast. Das war doch ne prima Leistung.“
Lily mahlte mit den Zähnen.
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„Nicht so schlimm? Sag mal tickst du noch ganz richtig? Meine super Leistung kannst du dir in die Haare schmieren.“
„Lily, ich habs doch nicht böse gemeint.“
„Du verstehst immernoch nicht worum es geht! Weißt du was, Jonelle hatte recht! Auf so einen Freund kann ich verzichten.“
Lily machte auf dem Absatz kehrt und drehte um. Schule konnte ihr heute gestohlen bleiben. Eine Krankschreibung würde sie schon ausgehandelt kriegen.
Als sie das Gebäude verließ, hielt Nolan sie noch einmal fest.
„Lily warte mal. Du willst doch jetzt nicht wirklich wegen so einer Kleinigkeit Schluss machen?“
Ein Kloß setzte sich in Lilys Kehle, als sie die bebende Unterlippe in seinem Gesicht bemerkte. Ein warmes Gefühl von Erleichterung machte sich in ihr breit. Wenigstens schien sie ihm nicht wirklich egal gewesen zu sein. Sie war fast versucht, sich umstimmen zu lassen. Nein. Sie hatte sich schon entschieden.
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„Nolan hör zu, das was da passiert ist war für mich keine Kleinigkeit. Wie soll ich dir denn jetzt noch vertrauen, wenn du mich direkt bei der ersten Gelegenheit so hängen lässt? Und du scheinst nicht einmal zu verstehen, wieso ich so sauer bin.“
Nolan sagte nichts mehr als die ersten Tränen seine Wangen herunterliefen. Selbst der Himmel weint mir, dachte Lily als dicke Regentropfen auf sie niederprasselten.
„Glaub mir, es ist besser so“, sagte Lily und ließ Nolan im Regen zurück.
Als sie der Pflegestelle ihre Situation erklärte, gewährte diese ihr gleich zwei freie Tage. Offenbar hatte sie durch ihren Unfall immernoch etwas Narrenfreiheit. In ein paar Tagen hatte sie ohnehin Geburtstag und würde ihren Abschluss schreiben. Von der drei würde sie ohnehin nicht mehr wegkommen.
Ihre Wohnung hatte wieder einmal einen Totalschaden. Natürlich an ihrem Geburtstag. Manchmal glaubte sie echt, bei ihr wohnten Kobolde. Sie hatte den Reparaturservice mittlerweile auf Kurzwahl in ihrem Smartphone eingespeichert.
Wenigstens der Fernseher ging noch. Bis er es nicht mehr tat.
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Genervt rief Lily ihre Technikerin des Vertrauens an.
„Haben Sie Zeit? Bei mir geht ihr wieder gar nichts mehr.
„Na klar, für meine Stammkundin hab ich immer ein Plätzchen“, trällerte ihr die Frauenstimme entgegen. Lily wollte gar nicht wissen, wie viel Geld die Dame an ihr schon verdient hatte. Sie könnte zwar über die Pflegestelle abrechnen, aber so oft wie in dieser Bude alles kaputt ging würde man ihr nur Vandalismus vorwerfen.
Kaum eine Stunde später kam die Dame auch vorbei und ging ihre gewohnte Tour durch die Wohnung. Dusche, WC, Herd und zum schluss der Fernseher.
Lily nutze die Gelegenheit um sich kurz im Bad frisch zu machen. Sie stand kaum unter der Dusche als sie ganz dumpf ein Geräusch warnahm. Gefolgt von einem zweiten. Wie ein der Aufprall eines Körpers.
Erschrocken schlüpfte sie in ihre Kleidung und rannte aus dem Bad.
Und stand zum zweiten Mal in ihrem Leben dem Tod gegenüber.
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Der Sensenmann legte seinen schwarzen Nebel um die Technikerin, die regungslos neben ihrem Fernseher am Boden lag. Lily konnte nichts tun, außer zu beobachten wie der Tod seine große Sense hob und sein Werk vollrichtete.
Als von der freundlichen Frau nicht mehr als eine seelenlose Hülle, ließ sich Lily ungeachtet der Sagengestalt aufs Sofa fallen.
Sie fürchtete sich nicht vor ihm. Er hatte sie bereits einmal gehen lassen und war heute nicht wegen ihr gekommen.
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„Hättest du sie nicht auch gehen lassen können? Sie war immer so nett…“, murmelte sie. Sie erwartete keine Antwort, weswegen war sie umso überraschter als sich die verhüllte Gestalt zu ihr drehte. Sie konnte im tiefschwarzen Schatten seiner Kapuze kein Gesicht erkennen aber sie glaubte…Wohlwollen zu spüren. Die Gestalt wirkte fast schon entschuldigend, als der Nebel um sie herum aufstieg und den Tod wieder in sein eigenes Reich forttrug.
Lily rief nachdem sie sich gesammelt hatte den Notruf. Die Sanitäter stellten den Tod der Frau fest, als Ursache fanden sie eine kaputte Leitung am Fernsehanschluss. Sie rieten Lily, sobald wie möglich mit dem Vermieter zu reden, es war ein Wunder gewesen, dass nicht schon vorher etwas passiert war.
Nachdem Ruhe eingekehrt war atmete Lily ein paar Mal tief durch. Sie hatte zwar keine großen Erwartungen an ihren Geburtstag gehabt, aber so hatte sie sich das nun wirklich nicht vorgestellt und ausgerechnet heute hatten weder Jonelle noch Sidney Zeit.
Der Schokokuchen, den Lily am Vortag mit Müh und Not gebacken hatte stand noch im Kühlschrank. Lily nahm ihn heraus, steckte lustlos die dünnen Wachskerzen in den Teig und zündete sie sich an. Morgen würde sie ausziehen. Jede Wohnung war besser als die hier.
Lily blickte in das flackernde Licht und ließ ihre Gedanken schweifen und ihren Tränen freien Lauf. Ab morgen würde alles besser werden. Bestimmt.
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