Generation 0 - Lily Kashmir
Kapitel 7: Der Weg zu den Toten
Die nächsten Tage waren für Lily wenig erfolgsversprechend. In ihrer Haushaltskasse herrschte gähnende Leere, sie brauchte dringend eine Arbeit. Die Stellenanzeigen waren jedoch wenig vielversprechend. Es suchte niemand jemanden ohne Berufserfahrung und Lily wollte sich nicht für eine Billigarbeit verkaufen.
Ihr Alltag bestand aus dem täglichen Gang zum See um die Wasservorräte aufzufüllen und dem Sammeln von Beeren. Sie vermisste die Cafeteria aus der Schule. Kochen war wirklich nicht ihr Ding. Es dauerte ewig. Inzwischen konnte Lily aber immerhin einen sehr schmackhaften Obstsalat zaubern.
Ihre Freizeit investierte sie hauptsächlich in den seltsamen Tisch. Sie verbrachte immer mehr Zeit mit dem rhythmischen Singsang der aus sie herausströmte, sobald sie in den Nebel der Kugel starrte. Bildete sie sich das nur ein oder wurde sie besser? Manchmal kam es ihr so vor, als würden fremde Stimmen in ihre Litanei einstimmen.
Als sie eines Nachts von einem Geräusch wach wurde, dachte sie sich nichts groß dabei. Sie hatte sich an die seltsame Kulisse von Forgotten Hollow gewöhnt. Knacken und Knistern und gelegentliche Schreie waren hier scheinbar ganz normal. Nachbarn hatte sie noch keine gesehen.
Lily schwang sich aus dem Bett und ging ins Bad, jetzt wo sie wach war meldete Ihre Blase einen Notfall an.
Schlaftrunken hockte sie sich auf die Schüssel und nickt fast wieder ein als sie plötzlich eine Präsenz neben sich spürte.
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„Was zum Teufel!“, spie sie aus, schrie und versuchte warf aus Reflex die Klopapierrolle nach dem durchscheinenden Mann der plötzlich neben ihr stand.
„Hallo“, grüßte dieser sie mir einer irritierenden Freundlichkeit.
Lily kreischte und wollte den Pömpel werfen, nachdem schon die Papierrolle ohne Widerstand durch den Mann hindurch glitt, hob der Mann die Hände und glitt Rückwärts durch die Wand aus dem Bad.
Lily nahm ein paar tiefe Atemzüge.
„Jetzt bin ich verrückt geworden“, murmelte sie, zog hastig ihre Hose hoch und zog in vorsichtig die Tür auf. Der Mann saß am Tisch, die Hände vor sich gefaltet. Als er sie bemerkte lüpfte er seinen Hut.
„Gute Nacht meine Liebe. Guidry, mein Name, meinerzeit paranormaler Ermittler. Es freut mich, endlich eine geeignete Schülerin gefunden zu haben.“
„Bitte was?“, fragt Lily. Inzwischen war sie zu verwirrt um sich noch zu fürchten.
Guidry lud sie ein sich zu ihm zusetzen. Lily folgte der Einladung und dann hörte sie mit einer Mischung aus Begeisterung, Neugierde und Faszination Guidrys Erklärungen zu.
Offensichtlich handelte es sich bei dem Tisch um einen alten Seance-Tisch. Und sie hatte ohne ihr Wissen regelmäßig die Geister von Verstorbenen angerufen und beschworen. Dadurch konnte auch Guidry aus dem Jenseits klettern.
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„Und du bist paranormaler Ermittler“, fragte sie, als er schon eine Weile am erzählen war.
„War. Aber ich war einer der besten“, antwortete Guidry.
„Und du suchst einen Schüler?“
„Nein. Ich hab schon einen gefunden. Du hast absolut das Zeug dazu, du musst nur deinen Fähigkeiten stählern um dich gegen Poltergeister wehren zu können.“
Das musste ein Scherz sein. Aber angesichts ihrer Vorerfahrung mit dem Tod, fiel es Lily nicht schwer Guidry einen Vertrauensvorschuss zu geben.
„Verdient man da denn auch Geld?“
„Wenn du gut bist, wirst du dir darum keine Gedanken mehr machen müssen.“
Das reichte Lily.
„Okay. Bin dabei. Was muss ich machen?“
„Nicht so schnell. Damit ich dir den Kontakt vermitteln kann, muss ich sicherstellen, dass du gut genug bist. Sonst machst du mehr Probleme als du hilfst. Komm. Ich helfe dir zu trainieren.“
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Und damit begann Lilys Ausbildung zur paranormalen Ermittlerin. Guidry kam jede Nacht, erklärte Lily die unterschiedlichen Beschwörungs und Bannformeln, brachte ihr einfache Séance-Kreise bei und führte sie durch verschiedene Zeremonien.
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Nach ein paar harten Nächten Arbeit kam Guidry wieder aus der Kugel geklettert. Lily fühlte sich inzwischen wie überfahren. Sie brauchte dringend Geld. Waldbeeren allein hielten nur den Hungertod fern, aber sie brauchte Energie. Sie war zu stolz um bei Jonelle oder Sidney nach Geld zu betteln.
„Lily, du hast dich bisher gut geschlagen. Heute machen wir deine Abschlussprüfung.“
Die Aufregung vertrieb Lilys Müdigkeit schlagartig. Es war soweit. Sie war soweit.
Sie zeichnete mit Kreide die viel geübten Linien auf dem Tisch nach, polierte die Kugel und sang die Beschwörung.
Etwas nutzte ihre Kraft um sich an ihr heraufzuziehen. Wie an einer Leiter kletterte das Wesen Lilys Worte herauf.
Und schließlich manifestierte sich neben ihr ein Skelett.
„Eine Dienstmagd?“, rief Lily überrascht.
„Ja. Die beste. Bonehilda ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Ruf sie aber nur, wenn es dringend ist, die Gute hat einen straffen Zeitplan.“
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Lily konnte es kaum fassen. Bonehilda klapperte mit ihrem Kiefer und machte sich daran ihren Wohnwagen aufzuräumen. Außerdem händigte sie Lily ein Visitenkärtchen aus.
„Was ist das?“
„Deine Lizenz natürlich“, lachte Guidry.
Lily begutachtete das Stück Papier. Es fühlte sich merkwürdig kalt an. Und außer einer Telefonnummer stand dort nichts drauf.
„Das ist dein Auftragsmittler. Ruf die Nummer an, wenn du Zeit für einen Fall hast. Aber übernimm dich am Anfang nicht. Poltergeister sind freche kleine Biester.“
„Danke Guidry, für alles“, sagte Lily und hätte ihren Geister-Mentor gerne umarmt als sich dieser von ihr verabschiedete.
„Das wars für mich, ich geh jetzt endlich in Rente.“
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Nachdem auch Bonehilda wieder zurück ins Jenseits gekrochen war ließ Lily ihrer Freude freien Lauf. Sie fühlte sich so cool. Paranormale Ermittlerin.
Mit zitternden Händen kramte sie ihr Smartphone aus der Tasche und rief Jonelle an.
„Was ist los, es ist mitten in der Nacht“, murmelte die verschlafene Stimme ihrer besten Freundin.
„Ich muss dir unbedingt was erzählen“, begann Lily und schilderte Jonelle in allen Einzelheiten was sie in den letzten Tagen erlebt hatte.
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