Generation 0 - Lily Kashmir
Kapitel 8 - Der erste Auftrag
Die Nummer die Bonehilda ihr überreicht hatte war genauso mysteriös wie das Skelett selbst. Als Lily die Nummer anrief sprang nach drei kurzen Glockenschlängen, so hell wie das von den kleinen Silberglöckchen die manchmal zu Weihnachten verschenkt wurde, der Anrufbeantworter an. Der Stimme war weder ein Geschlecht noch ein Alter zuzuordnen, vielmehr hörte sie sich an, als ob ein ganzer Kirchenchor gleichzeitig in den Hörer flüsterte.
Als Lily leicht überfordert ihr anliegen murmelte klickte es, es ertönten wieder die Silberglocke, viermal diesmal, und die Leitung verstummte. Kurz bevor Lily bereits erneut anrufen wollte, weil sie befürchtete, dass es nicht funktioniert hatte vibrierte ihr Smartphone. Eine SMS. In ihr waren drei Links, die jeweils nur „Anfänger“, „Fortgeschritten“ und „Gefährlich“, sagten.
Lily dachte kurz nach. Nicht, dass sie hier auf die bestinszenierte Phishing-Falle der Welt reingefallen war. Sie drückte auf „Fortgeschritten“. Erneut vibrierte das Handy. Diesmal mit einer Auftragsbeschreibung. Heutiges Datum, Adresse, Auftraggeber, keine Situationsbeschreibung. Nun gut. Damit war ihre Nacht wohl geplant.
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Um halb zehn machte sie sich auf den Weg. Die Auftraggeber standen vor Ihrem Haus. Mit Papiertüten über dem Kopf?
Es handelte sich scheinbar um zwei Männer, den Stimmen nach zu urteilen. Einer der beiden schilderte die Situation im Haus. Verrückt spielende Lichter, seltsame Geräusche, das übliche eben.
Lily betrat das Haus. Das Licht brannte. Aber sie spürte schon die mürrischen Poltergeister. Sie stimmte den geübten Singsang an und richtete ihren Geist auf den Raum vor sich.
Und dann tanzten die Geister als kleine blauschimmernde Kugeln vor ihr durch die Luft.
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Lily schaffte sich zuerst einen Überblick. Erdgeschoss, ein Obergeschoss. Sie lief die Räume systematisch ab. Versuchte mit den ersten Geistern in Kontaktzukommen. Nichts. Die kleinen Biester ignorierten sie oder versuchten zu vertreiben.
Lily beschlich das leise Gefühl, dass sie sich vielleicht zuerst einen Auftrag für Anfänger hätte holen sollen.
Als sie gerade eines der Symbole von der Wandwischte, die die Geister aufgemalt hatten knisterte es und der Glühdraht einer Lampe explodierte über ihrem Kopf. Erschrocken musste sie sich einen Moment sammeln.
Ihre Zeit wurde knapp. Verzweifelt versuchte, ihre aufkeimende Angst niederzuringen.
Schließlich war sie so verzweifelt, dass sie einem der Geister ein Stück ihrer Seele anbot.
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Es funktionierte. Der Geist nahm sich das Seelenstück und verschmolz es mit seinem Körper, bevor er sich in blauem Nebel auflöste. Lily fühlte sich leer. Nochmal würde sie da nicht machen können. Sie wusste von Guidry, dass Seelen nachwachsen würden, solange es nur ein kleines Stück war aber man sollte dennoch nicht zu großzügig werden.
Lily ging ins obere Stockwerk, vielleicht lief es hier etwas besser.
Sie fand einen seltsamen Trank auf dem Treppenabsatz. Blubbernder Schaum lief über den Rand. Das zu trinken war bestimmt eine schlechte Idee. Aber Lily konnte nicht abstreiten, dass sie neugierig war. Sie nippte am Rand. Sie merkte das ein Schwall Wissen in sie hineinfloss. Wissen über…Raketen? Sie kippte sich den Rest die Kehle herunter. Tatsächlich. Raketen. Der Trunk hinterließ einen leicht bitteren Nachgeschmack auf ihrer Zunge. Hoffentlich blieb es dabei.
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Die Nacht wurde immer länger, Lily schaffte es paar der Geister zum Gehen zu überreden aber es reichte einfach nicht. Bis zum Morgengrauen musste sie durch sein mit der Reinigung, aber sie merkte, dass sie zu viel abgebissen hatte.
Die ständigen Zeremonien zehrten ihre Kräfte auf. Als es schon dämmerte sackte ihr die Beine weg. Versagt.
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Sie wurde wieder wach als einer der Auftraggeber sie an der Schulter wachrüttelte. Sie wollte sich entschuldigen aber erstaunlicherweise war es sehr nett und zuvorkommend. Er wollte sie nach Hause begleiten aber Lily lehnte ab. Irgendwie war ihr der Typ viel zu aufdringlich.
Sie machte sich – ohne Bezahlung – auf den Heimweg, duschte sich einmal kurz ab und wollte sich dann schnell ins Bett legen. Dann hörte sie ein Poltern aus ihrem Schlafzimmer.
Was war das? Guidry konnte es nicht sein, er war seit ihrer „Anstellung“ nicht mehr aufgetaucht und Geister mochten kein Sonnenlicht. Zögernd zog sie sich an und schlich sich zu der angelehnten Schlafzimmertür. Sie war sich sicher, sie geschlossen zuhaben.
Mit einem Schrei trat sie die Tür auf, sodass diese an die Wand knallte.
Der aufdringliche Auftraggeber schreckte hoch und klemmte sich die Hand, die er in ihrer Nachttischschublade stecken hatte.
„Ich hoffe Sie haben eine verdammt gute Erklärung dafür“, fuhr sie ihn an.
Er versuchte sich rauszureden. Lily hörte nicht zur. Das Gestammel von Seelenverwandschaft und Liebe auf den ersten Blick konnte er getrost bei sich behalten.
„Raus. Sofort. Und ich schwöre ihnen, wenn ich Sie noch einmal in der Nähe meines Grundstücks sehe hetze ich ihnen mehr als nur Poltergeister auf den Hals.“
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Der Mann versucht noch sich zu wehren aber als Lily anfing laute wütende Beschwörungsformeln aufzusagen – keine davon hatte eine tatsächliche Wirkung - hob er abwehrend die Hände und rannte aus ihrem Wohnwagen. Als er gegangen war riegelte Lily alles ab. Und beschloss, die nächste Zeit Bonehilda zu bitten, wache zu halten während sie selbst schlief.