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6 years ago
Es war November. Dichter Nebel hing in den frühen Morgenstunden über dem Fjord und die nasse Kälte, die durch die Ritzen des alten Fischerhauses zog, hatte Yngwie geweckt. Sein Vater lag sturzbetrunken vor einer Dauerwerbesendung auf der alten Couch und murmelte im Halbschlaf. Yngwie ging pinkeln und wusch sich das Gesicht um wach zu werden. Leise schlich er in die Küche, nicht aus Rücksicht vor diesem Monster, sondern um sich Ärger zu ersparen, sollte das cholerische und betrunkene Schwein wach werden. Plötzlich hörte er es murmeln: „Ich find dich Hedda und dann bleib’ste im Loch!“
Eisige Starre ließ Yngwie stoppen. Hedda war seit seiner Geburt tot. Es gab ein Grab, gut leer, weil das Meer sie ihm genommen hatte aber… konnte es sein? Im Loch? Der Keller des Bootsschuppens! Wie in Trance wanderte Yngwies Blick vom Gesicht seines Vaters langsam runter zum Tau, mit dem er so oft geschlagen wurde. Im Sportunterricht hatte er immer lügen müssen, wenn die anderen Schüler die Wunden und Narben sehen und Herr Bakken, der Lehrer damals, hatte nichts dazu gesagt, die Kinder angeblafft, dass sie das nichts anginge. Zu dem damals 13-jährigen meinte er nur lapidar: „Es gibt die mit Rückgrat und die die sich ducken. Hat alles seine Ordnung im Leben. Du hast dich wohl fürs Ducken entschieden.“
Vorsichtig griff er in die Tasche seines Vaters und angelte den Schlüssel hervor. Sie schlossen hier eigentlich nie ab, aber der Keller war tabu, verschlossen. Er ging durch die dicke Suppe draußen langsam zum Bootsschuppen. Das Bund war schon recht rostig, aber der eine Schlüsselbart war blank. Er schob ihn ein und drehte. Es roch muffig und nach Rattenkot. Eine dicke Staubschicht lag auf vielen Gegenständen und Yngwie drehte die Birne tiefer rein, damit die Fassung den Strom leitete. Auf einer Kommode war ein altes rotstichiges Foto. Darauf war eine junge Frau, die neben seinem Vater stand. Sie lächelte nicht und wirkte voller Kummer. Er nahm das Bild aus dem Rahmen und wendete es. ‚Mit Hedda beim Julfest, 1985‘. Seine Mutter! Zum ersten Mal sah er sie. Dicke Tränen liefen im still über die Wangen.
An der Wand stand ein Bett, ein Messinggestell mit Matratze. Sie war angefressen und er konnte getrocknetes Blut erkennen. Neben dem Bild war eine Holzschachtel und darin fand er Briefe. Sie waren alle an eine Hedwig Berge adressiert und trugen den Stempel des hiesigen Postamtes und hatten den Vermerk: Empfänger unbekannt. Offenbar hatten sie ihr Ziel nie erreicht. Er begann zu lesen. Scheinbar war Hedwig seine Großmutter, denn sie begannen alle mit ‚Liebe Mama‘. Sie erzählten, wie schrecklich es ihr ging, dass Hening sie schlüge und für seine ‚niederen Spielchen‘ in einen Keller schleife. Sie sei schwanger geworden und hasste das Baby, die Frucht dieses Schlächters! In Yngwie starb alles ab. Dumpf zog er den letzten Brief hervor, er äußerte den Plan, nach der Niederkunft fort zu laufen. Irgendwohin, nur weg. Darunter hatte sein Vater gekritzelt: „Ich finde dich, Schlampe, und dann prügle ich dir gehorsam ein!“
Stumpf ging er zurück in die Hütte und legte den Schlüssel neben seinen Vater, er hatte die Kellertür nicht mehr verschlossen. Dann weckte er ihn. „Was?“ nuschelte der. „Das Treibseil hat geschellt, etwas Großes ist im Netz, wir sollten schauen, nicht dass es reißt!“ antwortete Yngwie stoisch. Der bärtige Säufer fluchte und gemeinsam stiegen sie in den Kutter und fuhren in den Nebel.
Schweigend überlegte Yngwie, was er sagen sollte. Als sie weit draußen waren fasste er sich. „Ich habe die Briefe von Mutter gefunden! Du hast sie vergewaltigt und geschlagen, so wie mich. Sie ist nicht tot, fortgelaufen aus diesem Folterheim, dass du errichtet hast. Frei! Du hast ihr und mein Leben zerstört, aber damit ist Schluss! Ich werde zur Polizei gehen und dafür sorgen, dass du nie wieder das Wasser siehst!“ Sein Vater brüllte auf. Unbeholfen und cholerischen Blutes voll mit Schnaps zog er das Tau und sprang auf Yngwie zu. Der stand an der Back und rechnete damit. Ungewohnt behände glitt er zur Seite und mit lautem Klatschen fiel sein Vater ins Meer.
Yngwie zögerte. Sein Vater schrie und bei den Temperaturen würde er binnen zwei Minuten steif gefroren sein und ersaufen. Er konnte das nicht tun, oder? Er nahm einen langen Bootshaken und suchte die Wasseroberfläche ab. Der Nebel war dick, aber er hörte das Rufen. Doch statt des Kopfs und die platschenden Arme seines Vaters sah er nur den Knoten, den er vor Jahren für Bjarne geflochten hatte. Er tanzte auf den Wellen auf und ab und rief gurgelnd um Hilfe. Bjarne war lange fortgezogen, so wie jede Freude und jeder Liebe in Yngwies Herzen. Langsam streckte er die Hand nach dem Knoten aus, aber er sank tief und still hinab zu den anderen Erinnerungen seines trüben Daseins. Alles war still, weißer Nebel hüllte den Fjord in gespenstisches Leuchten. Wenn er jetzt auch sprang, fand er ihn womöglich noch. Alles wäre vorbei, aber er wäre wieder bei Hening und so Weit der Ozean auch war, stets wäre es zu nah! Der Kutter fuhr zurück zum Haus. Er nahm Briefe und Bild, etwas Geld und radelte zum Bahnhof. Hier gab es nichts mehr für ihn, hatte es nie gegeben!
Eisige Starre ließ Yngwie stoppen. Hedda war seit seiner Geburt tot. Es gab ein Grab, gut leer, weil das Meer sie ihm genommen hatte aber… konnte es sein? Im Loch? Der Keller des Bootsschuppens! Wie in Trance wanderte Yngwies Blick vom Gesicht seines Vaters langsam runter zum Tau, mit dem er so oft geschlagen wurde. Im Sportunterricht hatte er immer lügen müssen, wenn die anderen Schüler die Wunden und Narben sehen und Herr Bakken, der Lehrer damals, hatte nichts dazu gesagt, die Kinder angeblafft, dass sie das nichts anginge. Zu dem damals 13-jährigen meinte er nur lapidar: „Es gibt die mit Rückgrat und die die sich ducken. Hat alles seine Ordnung im Leben. Du hast dich wohl fürs Ducken entschieden.“
Vorsichtig griff er in die Tasche seines Vaters und angelte den Schlüssel hervor. Sie schlossen hier eigentlich nie ab, aber der Keller war tabu, verschlossen. Er ging durch die dicke Suppe draußen langsam zum Bootsschuppen. Das Bund war schon recht rostig, aber der eine Schlüsselbart war blank. Er schob ihn ein und drehte. Es roch muffig und nach Rattenkot. Eine dicke Staubschicht lag auf vielen Gegenständen und Yngwie drehte die Birne tiefer rein, damit die Fassung den Strom leitete. Auf einer Kommode war ein altes rotstichiges Foto. Darauf war eine junge Frau, die neben seinem Vater stand. Sie lächelte nicht und wirkte voller Kummer. Er nahm das Bild aus dem Rahmen und wendete es. ‚Mit Hedda beim Julfest, 1985‘. Seine Mutter! Zum ersten Mal sah er sie. Dicke Tränen liefen im still über die Wangen.
An der Wand stand ein Bett, ein Messinggestell mit Matratze. Sie war angefressen und er konnte getrocknetes Blut erkennen. Neben dem Bild war eine Holzschachtel und darin fand er Briefe. Sie waren alle an eine Hedwig Berge adressiert und trugen den Stempel des hiesigen Postamtes und hatten den Vermerk: Empfänger unbekannt. Offenbar hatten sie ihr Ziel nie erreicht. Er begann zu lesen. Scheinbar war Hedwig seine Großmutter, denn sie begannen alle mit ‚Liebe Mama‘. Sie erzählten, wie schrecklich es ihr ging, dass Hening sie schlüge und für seine ‚niederen Spielchen‘ in einen Keller schleife. Sie sei schwanger geworden und hasste das Baby, die Frucht dieses Schlächters! In Yngwie starb alles ab. Dumpf zog er den letzten Brief hervor, er äußerte den Plan, nach der Niederkunft fort zu laufen. Irgendwohin, nur weg. Darunter hatte sein Vater gekritzelt: „Ich finde dich, Schlampe, und dann prügle ich dir gehorsam ein!“
Stumpf ging er zurück in die Hütte und legte den Schlüssel neben seinen Vater, er hatte die Kellertür nicht mehr verschlossen. Dann weckte er ihn. „Was?“ nuschelte der. „Das Treibseil hat geschellt, etwas Großes ist im Netz, wir sollten schauen, nicht dass es reißt!“ antwortete Yngwie stoisch. Der bärtige Säufer fluchte und gemeinsam stiegen sie in den Kutter und fuhren in den Nebel.
Schweigend überlegte Yngwie, was er sagen sollte. Als sie weit draußen waren fasste er sich. „Ich habe die Briefe von Mutter gefunden! Du hast sie vergewaltigt und geschlagen, so wie mich. Sie ist nicht tot, fortgelaufen aus diesem Folterheim, dass du errichtet hast. Frei! Du hast ihr und mein Leben zerstört, aber damit ist Schluss! Ich werde zur Polizei gehen und dafür sorgen, dass du nie wieder das Wasser siehst!“ Sein Vater brüllte auf. Unbeholfen und cholerischen Blutes voll mit Schnaps zog er das Tau und sprang auf Yngwie zu. Der stand an der Back und rechnete damit. Ungewohnt behände glitt er zur Seite und mit lautem Klatschen fiel sein Vater ins Meer.
Yngwie zögerte. Sein Vater schrie und bei den Temperaturen würde er binnen zwei Minuten steif gefroren sein und ersaufen. Er konnte das nicht tun, oder? Er nahm einen langen Bootshaken und suchte die Wasseroberfläche ab. Der Nebel war dick, aber er hörte das Rufen. Doch statt des Kopfs und die platschenden Arme seines Vaters sah er nur den Knoten, den er vor Jahren für Bjarne geflochten hatte. Er tanzte auf den Wellen auf und ab und rief gurgelnd um Hilfe. Bjarne war lange fortgezogen, so wie jede Freude und jeder Liebe in Yngwies Herzen. Langsam streckte er die Hand nach dem Knoten aus, aber er sank tief und still hinab zu den anderen Erinnerungen seines trüben Daseins. Alles war still, weißer Nebel hüllte den Fjord in gespenstisches Leuchten. Wenn er jetzt auch sprang, fand er ihn womöglich noch. Alles wäre vorbei, aber er wäre wieder bei Hening und so Weit der Ozean auch war, stets wäre es zu nah! Der Kutter fuhr zurück zum Haus. Er nahm Briefe und Bild, etwas Geld und radelte zum Bahnhof. Hier gab es nichts mehr für ihn, hatte es nie gegeben!